Chaosfarbklavier
Hans Wolf, Klavier
Dieter Trüstedt, Computermusik und Grafik
Jörg Schäffer, Moderation
Montag 22. März 2010 20 Uhr / Eintritt frei
Carl Orff Auditorium München
Luisenstr. 37a, U-Bahn Königsplatz
Viertes Montagsgespräch im Rahmen des Projektes MUSIK AUS DEM NIEMANDSLAND in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Theater München, dem Deutschen Musikrat, dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München und der Echtzeithalle e.V.
Der Klavierspieler - Hans Wolf - spielt die Töne der temperierten Tonskala,
so wie der Flügel im Carl Orff Auditorium München gestimmt ist.
Der Chaosspieler - Dieter Trüstedt - spielt die neuberechneten Klaviertöne
auf dem Laptop.
Synchron zum Spiel läuft die Projektion einer Grafik im Mondrian-Stil.
Der Klavierspieler hat alle Möglichkeiten des Flügels: Anschlagzeitpunkt,
Anschlagqualität, Tonhöhe, Dauer, Nachklang, Pause, Mehrstimmigkeit,
Cluster.
Der Chaosspieler hat nur die Wahl der acht vom Flügel aufgenommenen a-Töne.
Diese Töne werden bei jedem Anschlag neu und unvorhersehbar - nach der
logistischen Formel - berechnet innerhalb einer Bandbreite von ca. plus/minus
einer Quinte um das gewählte a herum.
Dem Chaosspieler stehen Anschlagzeitpunkt, Lautstärke, Dauer, Ausklang,
Pause und teilweise auch Mehrstimmigkeit zur Verfügung.
Die Grafik besteht aus acht rechteckige Flächen, die ihre Helligkeiten
synchron zum Chaosspiel variieren. Die Grafik ist einfarbig, wird aber von Satz
zu Satz in der Farbe geändert: rot - gelb - blau - weiss, gestuft mit voll
hellem, mittlerem und schwarzem Hintergrund, so dass 3 mal 4 = 12 Spiel-Sätze
entstehen.
Der Chaosspieler beginnt jeden Satz mit seinen speziellen Tönen und baut
die Grafik automatisch und synchron auf.
Beide Spieler interpretieren die Grafik - jeder als Solo oder gemeinsam - bereits
während des Grafikaufbaus oder anschließend.
Es gibt mehrere künstlerische Fragestellungen, Anregungen, Gestaltungsprinzipien
- für die Spieler, für die Hörer und Zuschauer und natürlich
auch für die hörenden und sehenden Spieler:
Gibt es Konflikte zwischen den beiden Tonskalen bzw. Tonmaterialien, der temperierten
Skala mit 2 hoch a/12 (a gleich Tonhöhendifferenz) und der chaotischen
Skala mit k mal x mal 1 minus x (k gleich 3,74) ?
Wir haben in früheren Versuchen erkannt, dass beide Skalen vollkommen unabhängig
sind, sich also wenig berühren, reiben oder irritieren.
Sind die möglichen Berührungen - Zeitpunkte, Tonhöhen, Dauern,
Lautstärken, Pausen - für eine künstlerische Arbeit sinnvoll
und ausreichend?
Welche Rolle spielt die Grafik? Ist sie eine sich selbstgenerierende Partitur
- und ist sie als solche auch verwendbar und wirksam?
Erzeugen Stimmigkeiten in den Grafiken auch entsprechende Qualitäten im
musikalischen Spiel?
Hat das chaotische Tonhöhenmaterial eine Qualität, die eher als beliebig
empfunden werden kann?
Die Mathematiker nennen solche Strukturen "deterministisch chaotisch",
das heißt, es gibt keine starke Kausalität.
Ist diese schwache Kausalität als innere Logik in der Musik spürbar?
Berechnung und Spiel
Beim Chaos-Computer-Klavier
mit sich nicht wiederholenden - Tonhöhen, die jedes der acht a-Töne
(vom Flügel eingespielt) umkreisen - mit einer Bandbreite von ungefähr
einer Oktave. Der Chaosspieler kann zwar den Oktavraum wählen (z.B. a2
oder a3 zugeordnet) nicht aber die genauen Tonhöhen innerhalb der gewählten
Oktave.
Verwendung der logistischen Gleichung x n+1 = r*xn*(1-xn)
wobei r = 3.7495 gesetzt ist und xn zwischen 0
und 1 pendelt - siehe 2). Im weiteren Text wird diese Formel einfach mit x(1-x)
geschrieben. In der folgenden Grafik erkennen wir die Lösungsschwerpunkte
für x im Bereich 3.7 für r - nicht aber das exakte x. Dieses Pendeln
zwischen Lösungen wird auch deterministisches chaotisches Verhalten genannt.
Wird eine vertikale Linie bei 3.7 gezogen, sieht man die unendlich vielen Lösungen
mit ihren (vier oder fünf) Lösungsschwerpunkten.
Und beim Flügel:
der natürlich temperiert gestimmt ist, d.h. nach der Exponential-Funktion
f = g * 2 hoch a/12, hier als Beispiel bezogen auf das Intervall
f zu g, wobei g der Ausgangston ist und f ein neuer
Ton, der a Halbtöne entfernt liegt.
Dokumentation
Fotos: Bernhard Thurz
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Moderation - Jörg Schäffer
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Hans Wolf - Klavier
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Dieter Trüstedt - Computer
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Hans Wolf - Chaosfarbklavier
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Hans Wolf
Musik A - Tonhöhen berechnet aus der logistischen Formel sind fließend
z.B. midizahl 60,375 - also 37 cent über dem c1
Musik B - Tonhöhen berechnet aus der logistischen Formel sind temperiert
60,375 wird integer gesetzt zu midizahl 60 = c1
Diskussion über die Wirksamkeit dieser Temperierung und
über die Wirksamkeit der Grafiken als Spielvorlagen - synchron zum Spiel
generiert
Schluss-Grafik
Chaosklavier - Arbeiten seit 2005
Dieter Trüstedt links - am Computer und Hans Wolf rechts am Flügel, 2005 in der Reaktorhalle München
- Das Projekt Chaosklavier (Dieter Trüstedt und Hans Wolf) entstand
2005 und die Uraufführung in der Materialausgabe 2005 / Reaktorhalle München,
siehe http://www.luise37.de/2005/materialausgabe/programm.htm
. In diesem Projekt setzten wir die nach der Chaosformel berechneten Tonhöhen
den temperierten Tonhöhen entgegen.
- Ausführliche Beschreibung zum Prinzip der Schaltung, den Tonhöhen
... siehe
http://www.luise37.de/2005/montagsgespraeche/184.htm
- Gegenüberstellungen
Hans Wolf und Dieter Trüstedt / Klavier (Original-Flügel) und Chaos-Klavier
(Pure Data) / Reaktorhalle
http://www.luise37.de/2006/materialausgabe2006/index.htm
Literatur / Fußnoten
1)
Oliver Sacks, der einarmige Pianist, Über Musik und das Gehirn, rowohlt,
2008, (Originalausgabe 2007), S. 150:
im Kontext des absoluten Gehörs, der Benennung von Tonhöhen und die
Wahrnehmungsqualitäten des gehörten Tones.
2)
Logistische Gleichung in komplexen chaotischen Systemen siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Logistische_Gleichung
3)
Programmierung Elektronischer Musik in Pure Data, Johannes Kreidler, 27. Jan.
2009 - siehe http://www.pd-tutorial.com/german/index.html
Absatz 3.1.1 Tonhöhe
4)
Das 269.Montagsgespräch im Internet - etwas später auch als Dokumentation.:
http://www.luise37.de/2010/chaosfarbklavier/chaosfarbklavier.htm
Kommentare
19mrz10
Die Berechnungen des Chaosklavieres temperieren, die Ergebnisse in midi-Werten
integer setzen. Mal hören, wie das wirkt, ob die Tonhöhen falsch
oder beliebig wirken. Die Feinstruktur des "determinierten chaotischen"
Systems geht (möglicherweise) verloren.
Abbildung eines Spielausschnitts: Die Midi-Werte werden integer gesetzt bzw.
als floating gelassen.
Hier Werte um das a1 herum ca. 61 ... 69 ....74
Ein Unterschied zwischen den temperierten und floating Werten ist normalerweise unhörbar, weil es keine harmonische Struktur gibt, keine Orientierung für Stimmigkeit oder Nicht-Stimmigkeit.