Mehrfache Zeitstrukturen in Musik und Natur

Dr. Wolf-Dieter Trüstedt
Studium Generale Universität Ulm
Montag 8. Juli 2013 Hörsaal H 13 um 18.30 Uhr

Hier wird eine Musik beschrieben, die aus mehreren Ereignisströmen besteht, Strukturen, die zu einem Gesamt-Ereignis zusammengefaßt werden. Vorbilder sind Prozesse in der Natur:
- Das Feuer besteht aus vielen Flammen, die gemeinsamsam das Phänomen Feuer bilden.
- Die Meeresbrandung ereignet sich in ihrer Gesamtform aus mehreren Wellenzügen, die durch abnehmende Wassertiefe verschiedene Geschwindigkeiten erhalten und sich am Ufer überschlagen.
- Die Zikaden als akustisches Phänomen z.B. im Süden Frankreichs: Jede Zikade erzeugt einen eigenen fast gleichmäßigen Ereignisstrom. Die Kommunikation der Zikaden untereinander ergibt das bekannte Klangbild des Sommers in der Provence.
Die Mehrstimmigkeit ist das wichtigste Gestaltungsprinzip in der abendländischen Musik. Sie wird ermöglicht durch die Passgenauigkeit der gespielten Töne und Rhythmen. Diese Musik ist ein komplexer Ereignisstrom, eingefangen im Konstruktiven durch den gemeinsames Takt und die "wohltemperierte" Stimmung der Musikinstrumente.
Wir können uns aber eine Musik denken, die mehrere (vielleicht sogar unabhängige) Ereignisströme verwendet und die die gebräuchliche Tonhöhenordnung auflöst und vervielfältigt: Wir sprechen hier vom Phänomen der PolyTempic und der Poly(Micro)Tonalität (1).
Beschrieben werden Musikstücke von Charles Ives, Conlon Nancarrow, Terry Riley, Iannis Xenakis und Györgi Ligeti. Vorgespielt werden eigene Musikbilder komplexer Zeit- und Tonhöhen-Strukturen, hergestellt mit dem Programm PureData (2).
Verglichen werden diese Prozesse mit der Beschreibung der QuantenElektroDynamik QED von Richard Feynman. Er beschreibt die Regenbogenfarben ausschließlich durch die Zeit-Verschiebungen der vielfältigen Lichtwege im Regentropfen. Addieren wir mehrere Seqenzen unterschiedlicher Tempi aber mit identischen Tonfolgen enststehen wie von selbst "Melodien" - vergleichbar den Farbspektren aus weißem Licht (3) und siehe Abbildung.

1) Polytempic Polymicrotonal music: A Road Less Traveled - by Peter Theogersen, Academia.edu, University Illinois
http://www.academia.edu/1901545/Polytempic_Polymicrotonal_Music_A_Road_Less_Traveled
2) Pure Data, Miller Puckette, University of California, San Diego. Download der freien/Open-Source-Software:
http://www.crca.ucsd.edu/~msp/software.html
3) Richard P. Feynman, QED - Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie, Piper Verlag, 1532, 1992/2010. Seiten u.a. 60 und 61. Der Text ist allgemein verständlich.