307. Montagsgespräch

EINUNDACHTZIG

eine Ko-Position aus Zeichnungen von Wieland Grommes und Musik von Dieter Trüstedt

22. April 2013 20 Uhr / Eintritt frei
Carl Orff Auditorium München
Luisenstr. 37a, U-Bahn Königsplatz

Siebtes Montagsgespräch im Rahmen des Projektes Mathematik als Musik in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Theater München, dem Bezirk Oberbayern, dem Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München, der Universität Ulm - und dem Musiklabor / Echtzeithalle e.V.

Der Maler Wieland Grommes präsentiert "Stille - Steine - Nacht", eine Serie aus 81 Zeichnungen von weißen Kieselsteinen in wahllos wechselnder Form, Größe, Anzahl und Verteilung auf schwarzem Karton, Format DIN A4.

Für diese Serie wählte er den Umfang von 81 Blättern, da die Zahl 81 in der chinesischen Kultur eine besondere Bedeutung hat. Ungerade Zahlen haben dort eine höhere Wertigkeit als gerade Zahlen. Die Zahl 9 gilt als die vollkommenste ungerade Zahl, die Zahl 81 (9 x 9) ist die Potenzierung dieser Vollkommenheit und gilt als "himmlische" oder "Kaiser"-Zahl.

Die Serie "Stille - Steine - Nacht" (2012/2013) ist von der taoistischen Philosophie des stetigen Wandels, des Wechsels von Etwas und Nichts, von Laut und Stille sowie der Zufälligkeit und Absichtslosigkeit in Kunst, Wirklichkeit und Wahrnehmung beprägt. Daneben ist sie inspiriert vom Werk des Dichters, Zeichners, Philosophen und Komponisten John Cage, von Kompositionen wie "Winter Music" und seinen Steinzeichnungen, z.B. der Serie "Ryoku", worin es gleichfalls um Zufallsoperationen und den Wechsel zwischen Etwas und Nichts, zwischen Klängen und Stille geht.

Die Kieselsteine als Motiv der Zeichnungen lösen unweigerlich akustische Assoziationen aus: die Klänge beim Aneinanderstoßen der Kiesel, ihr Bewegtwerden in der Strömung des Flusses oder der Brandung des Meeres.

Daher hat Wieland Grommes dem Komponisten Wolf-Dieter Trüstedt vorgeschlagen, zu diesem Bild-Werk ein separates Ton-Werk - aus Klängen aneinanderschlagender Kiesel - zu schaffen, und beide Werke als "Ko-Position" unter dem Titel EINUNDACHTZIG nebeneinander zu stellen.

Das besondere Steinspiel als Musik geht zurück auf Arbeiten von Dieter Trüstedt im Theaterstück "Interrogations" (Yoshi Oida, Paris) und gleichzeitig auf Experimente in "Vom verlorenen Paradies" (Ulrike und Dieter Trüstedt). Die verwendeten Steine haben wir in der Iller bei Wieblingen / Ulm gefunden. Sie sind sehr hart und meist flach, d.h. sie erzeugen scharfe, prägnante Klänge, die sich durch die Hand gut formen lassen. Solche Klänge werden als Samples (Klangpartikel) in der Computermusik zu EINUNDACHTZIG eingesetzt. Alle wesentlichen Klangformungen werden zeitgleich beim Spiel berechnet: Tonhöhen, Lautstärken, Einschwingen und Ausklingen, Schlagsequenzen (kleine Cluster), Schlagdichte - und natürlich die Zeitpunkte und die Pausen. Gespielt wird direkt auf der Laptop-Tastatur (Dynamik und Tonhöhen) ähnlich dem Klavierspiel. Fraktale Schwankungen der Tonhöhen symbolisieren die Streuung der Kieselsteine beim Wurf - mal heftig - mal zurückhaltend.

Die Kieselstein-Zeichnungen von Wieland Grommes sind Inspirationsquelle der 81 Musik-Miniaturen. Die jeweiligen Zahlen - 3, 7, 5, 9 etc. - der Kieselsteine in den Zeichnungen wirken durch ihre Qualität, Menge, Gruppierung und räumlichen Streuung als strukturierendes Element. Es ist "ein Spiel vom Blatt".

Die Ko-Position wird anschließend besprochen und mit dem Publikum diskutiert.


Wieland Grommes, Zeichnung #17
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Anmerkungen / Dieter Trüstedt

Tonhöhen, Zeiten und Lautstärken

Es kann auch mal notwendig sein, die abendländischen Notenlinien und die Taktstriche zu verlassen,
z.B. um in andere Kulturen einzutauchen. In EINUNDACHTZIG gibt es Gedanken, die eher östlich
sind oder wenigstens sehr modern westlich (John Cage). Und dann ist da noch die Frage der
(natur-) wissenschaftlichen Korrektheit: Wenn ich das "invariante" Verhältnis zwischen Kreisumfang
und Durchmesser verwenden will - genannt Pi - und daraus eine Tonskala entwickle - analog zum
Quintenzirkel, stoße ich auf Werte, die mit den Notenlinien nicht vereinbar sind. Es sind wunderlich
schöne Tonhöhen, die ich nicht missen will und die ich nicht in die temperierte Skala hineinbiegen
darf.
Und dann sind da noch die Zeitabstände zwischen diesen Tönen. Die Musik zu EINUNDACHTZIG
muss den Gleichtakt in jeder Form verlassen, um den Steinzeichnungen gerecht zu werden. Die Pausen,
das Anhalten, das Ausklingen, das Nähern und Entfernen, die Dichte, das Verlorene, das Einzelne ....
diese Szenen sind beim "Vom Blatt Spielen" direkt da und wollen gestaltet werden. Die zeitliche
Beweglichkeit wird möglichst weit ausgeschöpft.
Und die Lautstärken, die Dynamik: Manche Steine sind weit entfernt. Im einfachsten Fall kann diese
Situation "nachgespielt" werden - oder sie provoziert gegenläufiges Verhalten, die Steine werden
herangeholt. Oder der dicke Stein vorne wird nur vorsichtig berührt und die anderen, die kleineren
Steine werden ordentlich geschüttelt .....

Tonskala - genauere Erklärung

Die Lust, eigene Tonskalen zu entwickeln, führte zur Pi-Skala. Pythagoras - oder waren es spätere
Naturwissenschaftler - haben mit Hilfe des Quintenzirkels unsere chromatische Tonskala entwickelt:
c-cis-d-dis-e-f-fis etc. Hierbei wird - Helmholtz hat das sorgfältig beschrieben und diskutiert - die
Grundtonhöhe (in Hertz) immerwieder mit 3/2 multipliziert. Wenn die Tonhöhen über die Oktave
hinausgehen, werden sie durch 2 geteilt, um in der Basis-Oktave bleiben zu können.

In der Musik zu EINUNDACHTZIG habe ich, aus purer Neugier, statt 3/2 das Verhältnis Pi/2, also
3,1415..../2 verwendet. Es entsteht eine wunderliche Skale: der Grundton, ein guter Ganzton, die
kleine Terz, der Tritonus (17 cent höher), die Quinte ist 27 cent höher, dann die große Sexte
(minus 10 cent), die Septime hat auch minus 10 cent - und dann die (eher willkürlich gesetzte) Oktave.
Dann eine wunderbare NONE, dann die Oktave plus kleine Terz, dann plus Tritonus - und schließlich
die Duodezime.

Der Reiz dieser Tonfolge liegt darin, dass sie in der Musik ihren eigenen Weg, ihren eigenen Fluss sucht,
und vorallem das allzu bekannte Fahrwasser verlässt. Es gibt Menschen, die gehen ihre eigenen Wege,
sie haben keine große Lust auf Autobahnen oder Reiseführer-Wege.

Es gibt Zuhörer, die gehen bereitwillig mit und freuen sich auf jeden neuen Ton, einen Ton, den sie
in diesem Kontext noch nicht gehört haben. Und es gibt Zuhörer, die murren, die sagen, der Weg sei
falsch, der Weg dauert zu lange, der Weg ist unerwartet oder unklar ..... Aber gerade erfahrene
Musiker sind neugierig.

Wie war der Satz von Meister Eckhart?! (12. Jh)
praesertim quia dulcius irritant animum nova et rara quam usitata,
quamvis meliora fuerint et maiora

was übersetzt ungefähr heißt:
Insbesondere weil das Neue und Ungewöhnliche einen süßeren Reiz und eine angenehmere
Erregung auf den Geist ausübt als das Gewohnte, selbst wenn dies besser und bedeutender
sein mag.