275. Montagsgespräch
Vorstellung, Wahrnehmung
und ein künsterischer Prozess
Christine Söffing und Dieter Trüstedt
Zusammenarbeit der EMU Experimentelle Musik und Kunst / Universität Ulm
mit der Echtzeithalle und dem Musiklabor / Hochschule für Musik und Theater
München
Montag 28. Juni 2010 20 Uhr
Eintritt frei
Carl Orff Auditorium München
Luisenstr. 37a, U-Bahn Königsplatz
siehe auch: http://www.echtzeithalle.de/?id=352
Elftes Montagsgespräch im Rahmen des Projektes MUSIK AUS DEM NIEMANDSLAND in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Theater München, dem Deutschen Musikrat, dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München und der Echtzeithalle München.
- Video / Installation / Christine Söffing
- Einführung / Christine Söffing
- 5 Musik-Skizzen zu Thymian / Dieter Trüstedt, Christine Söffing,
Klaus Schmidtke
- Impulsvortrag: Mentale Repräsentation von Gerüchen z.B. Thymian
/ Christine Söffing
- Impulsvortrag: Wahrnehmungsinstanzen in der Musik / Dieter Trüstedt
A
Beispiel: Mentale Repräsentation von Gerüchen (1)).
Allain Paivio (2) geht von einem System mit zwei Subsystemen aus, dem imaginablen
und dem verbalen. Das Verbale behandelt linguistische Informationen. Das imaginable
System kodiert räumlich ganzheitliche analoge Abbildungen perzeptueller
Sachverhalte. Beide Systeme agieren unabhängig und doch miteinander verbunden.
Edward Tolman (3) brachte 1948 das Konzept kognitiver Landkarten auf, das höhere
Organismen von ihrem Lebensraum bilden, um räumliche Probleme zu lösen.
Wolfgang Marx (4) nimmt an, dass in solchen subjektiven Repräsentationen
nicht nur Informationen über die räumliche Umwelt eingehen, sondern
dass zugleich auch Einstellungen, Wissensbestände und persönliche
Vorlieben (bzw. Abneigungen) darin integriert werden können.
Nach Endel Tulving (5) muss man, um die Bedeutung der Erfahrung, die mit der
Aufnahme von Informationen gemacht wird, zu berücksichtigen, das Gedächtnissystem
in zwei verschiedene Systeme - ein episodisches und ein semantisches - unterteilen.
Das episodische Gedächtnis ist ein individuelles, autobiografisches System,
das die zeitliche und örtliche Information darüber, wann und wo diese
Information aufgenommen wurde, beinhaltet. Im semantischen Gedächtnis hingegen
sind die zentralen Elemente sprachliche Symbole, Relationen und Konzepte.
"Eine große Rolle beim Zusammenspiel der einzelnen Elemente des episodischen
Gedächtnisses spielt die Annahme der Enkodierungs-Spezifität"
(encoding specificity). Gemeint ist die Tatsache, dass die Umstände bei
der Enkodierung zum Zeitpunkt des Abspeicherns in Kombination mit dem retrieval
cue (6) für ein erfolgreiches Wiedererkennen (recognition) oder Wiedererinnern
(recall) verantwortlich sind.
B
Die Musik
dieser Montags-Art-Lecture wird von 3 Spielern - jeweils mit einem Laptop als
Musikinstrument - präsentiert. Die verwendete Schaltung ist mit Pure Data
hergestellt, einem aktuellen Computer-Programm aus dem Musikdepartment der Universität
San Diego / Californien - Autor: Miller Puckette (7). Die konkrete Schaltung
greift auf künstlerische Ideen der 60er und 70er Jahre zurück: die
Verwendung von mathematisch-geometrischen Formen für die Klanggestaltung
und der Einsatz von "Zeitmaschinen" - aus der Mathematik und der allgemeinen
Naturwissenschaft - für die rhythmisch-harmonische Hintergrundsstruktur
bzw. Textur. Für den Musikaufbau dienen Texte des Biophysikers Hermann
von Helmholtz (8 und 9) als Ideen-Vorlage, veröffentlicht in seinem Werk
"Tonempfindungen" - herausgegeben 1863. Helmholtz versteht den Begriff
"Melodie" als zentrales Strukturelement der Musik. Die "Melodien"
werden in der vorgestellten Arbeit "Thymian" in die vom Computer automatisch
gespielte "Textur" eingezeichnet.
Der Musik-Titel "Thymian" beschreibt einen weiteren Wahrnehmungsvorgang
- den Geruch. Vielleicht konstituiert der Thymian-Geruch das Element "Stimmung"
in der Musik, die Atmosphäre, das Semantische. Die episodischen Gestaltungsteile
der werden hier auf den Tasten des Laptops "live", d.h. nach Partiturskizzen
oder künstlerisch spontan, gespielt. Oliver Sacks beschreibt diese Wahrnungs-
und -Vorstellungsvorgänge in seinem Buch "Der einarmige Pianist -
Über Musik und Gehirn" (10).
In der Musik dieses Montagsgesprächs werden mehrere musikalische "Annäherungsversuche"
zur Thematik "Vorstellung und Wahrnehmung" unternommen. Die Klänge
"fühlen sich wie der Geruch von Thymian" an oder es wird ein
Klang gesucht, der den Geruch von Thymian darstellt, symbolisiert, verkörpert,
animiert - als experimentelles Mittel in diesem künstlerisch-wissenschaftlichen
Projekt.
Anmerkungen
(1)
Gschwind, Jürgen: Repräsentation von Düften. Bearbeitet, ergänzt
und herausgegeben von Dr. Peter Neumann und Dr. Margret Schleidt mit einem Geleitwort
von Prof. Dr. Lutz von Rosenstiel. Augsburg 1998.
(2)
Allain Paivio. Mental Representations. A Dual Coding Approach. New York 1986.
Siehe: http://www.readytolearnresearch.org/pathwaysconference/presentations/paivio.pdf
3)
Edward Tolman, geb. 1886, siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Edward_Tolman
(4)
Wolfgang Marx, geb. 1948. Psychologie der Sprache. Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Marx_%28Psychologe%29
(5)
Endel Tulving. Siehe: http://en.wikipedia.org/wiki/Endel_Tulving.
Precis of Elements of Episodic Memory. The Behavioral and Brain Sciences. 1984.
S. 229
(6)
Unter Retrieval Cue (Abrufhinweis) versteht man alles, das einem hilft Zugang
zu Informationen aus dem LZG (Langzeitgedächtnis) zu erlangen. Aufgrund
von Retrieval Cues erklärt sich, warum es einfacher ist, Informationen
wiederzuerkennen als abzurufen.
(7)
Author of Pure Data (Pd), a graphical programming language for the creation
of interactive computer music and multimedia works, siehe: http://crca.ucsd.edu/~msp/
(8)
Hermann von Helmholtz, Tonempfindungen, 1863, Originalausgabe als pdf im Internet,
kostenfrei
600 Seiten, vor allem die 3. Abteilung "Verwandschaft der Klänge",
siehe:
http://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de/library/data/lit3483?The%20Virtual%20LiboratoryMax%20Planck%20Institute%20for%20Historyof%20Science,%20Berlin
(9)
Hermann von Helmholtz, Text in Profile UTB 3034 vom Philosophen Michael Ruoff
LMU München,
2008, 108 Seiten, siehe: Internet oder besorgen: Preis: 9.90 Euro. Siehe:
http://www.utb-shop.de/suchergebniss.php?keywords=helmholtz&x=0&y=0
(10)
Oliver Sacks, Der einarmige Pianist, Über Musik und das Gehirn, rowohlt,
8. Auflage 2008, 393 Seiten.
siehe u.a. http://www.perlentaucher.de/buch/29624.html
Kontakt
- Christine Söffing
info[at]synaesthesiewerkstatt.de
http://www.synaesthesiewerkstatt.de
- Dr. Wolf-Dieter Trüstedt
wolf-dieter.truestedt[at]uni-ulm.de
http://www.luise37.de/
http://www.echtzeithalle.de/
Dokumentation
28. Juni 2010
Fotos: Bernhard Thurz
Siehe auch: http://www.echtzeithalle.de/?category=gallery&year=0&dir=mg275
Christine Söffing - Impulsvortrag
Dieter Trüstedt - Impulsvortrag
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