Text:
musik und materie
DIE «MONTAGSGESPRÄCHE« IN DER ECHTZEITHALLE MÜNCHEN

VON TINA KAROLINA STAUNER

Musik und Materie» ist das aktuelle Thema der von der Echtzeithalle e. V. / Musiklabor in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Theater München, dem Deutschen Musikrat, dem Kulturreferat der LH München und der Universität Ulm veranstalteten Reihe «Montagsgespräche». Hinweis an ein dualistisches Prinzip, wie von Descar-tes zu denken? Anstoß, einem Gedankensprung nachzugehen zu Henri Bergson und seiner Abhandlung über die Beziehung zwischen Körper und Geist mit dem Titel Materie und Gedächtnis'} Bergson: «Der Geist entnimmt der Materie die Wahrnehmungen, aus denen er seine Nahrung zieht, und gibt sie ihr als Bewegung zurück, der er den Stempel seiner Freiheit aufgedrückt hat.»
Ein Kreis von Insidern - fast könnte man auf den Gedanken kommen, es handele sich um eine Art geschlossene Gesellschaft - besucht regelmäßig die Montagstermine. Über die Personen im so lautenden Sartre-Drama heißt es: «Sie können weder voneinander lassen, noch voreinander fliehen ...» Die «Montagsgespräche» als Demonstrationen für Leben, Überleben in der freien Szene? Stattfindend im Carl Orff Auditorium der Hochschule für Musik und Theater. Jedoch ist es nicht die Generation der Studenten, die auch bei den Veranstaltungen erscheint; die Besucher setzen sich hauptsächlich aus individualistischen Musikern, Künstlern, Wissenschaftlern, Theoretikern etc. zusammen, die teilweise auch ihre eigenen Projekte im Kontext der «Montagsgespräche» vorstellen und diskutieren.
Initiator Wolf-Dieter Trüstedt, Musiker und Physiker, bringt seit dem Jahr 2000 in dieser Reihe neue Musik, Text und Bild in Performances auf die Bühne. Oft werden mehrere Miniaturen an einem Abend vorgestellt. Es sind aber auch manch einstündige Projekte darunter. Trüstedt selber nannte das «Musik-, Medita-tions-, Aufführungsübungen, nicht eigentlich ein Konzert, sondern eine offene Form».
Tatsächlich haben die Stücke oft den Charakter eines Spiels mit künstlerischen Mitteln. Die verbalen Ausführungen changieren zwischen Plauderei und Theonelas-tigkeit. Jeweils einstündigen Aufführungen folgt ein ebenso langer Gesprächsteil. Manchmal wähnt man sich in einem Praktikum, beispielsweise einem für die große Form Musiktheater. Auf der Website der Echtzeithalle gibt es dazu Berichte, Begriffserklärungen, Fotos.
Eine der Färb-, Form- und Tonspielereien kann wie folgt ablaufen: Trüstedt klickt am Laptop in «Teiltonfelder», musikalisch aufgeführt mit Andhi Pabst, was als großformatige Wandprojektion zu sehen ist: Kreuzformationen in einem Kästchenfeld. Eine nach der anderen. In X-Form. Wie ein griechisches Kreuz. Mit einer Lücke als Mittelpunkt. Wie ein Grabkreuz. Immer drei gleiche nebeneinander. Etwa hellblaue Kreuze auf gelbem Grund. Einmal klickt er daneben und verharrt in einer ausgedehnten Pause. Das Bild ist nun kein Kreuz mehr, sondern eine freie Form. Im späteren Gespräch ist die Rede von einem Fehler im Spiel, der weiterführte: Manches scheint für Eingeweihte bestimmt zu sein in dieser Runde.
Laurie Andersen verwendete in ihrer Arbeit den Satz von William S. Burroughs: «Language is a virus from outer space.» Sieht Wolf-Dieter Trüstedt das auch so? Seine Antwort, fast als wäre sie nicht eine auf diese Frage: «Musik sitzt sehr tief im Menschen. Meine Musik kommt nicht aus dem bürgerlichen Abendland, sondern eher aus dem Osten, China, Japan - nicht die abendländischen, gleichmäßigen Rhythmen und eine Musik, die aus der Sprache abgeleitet ist -, sondern viel komplexer und stark klangorientiert, das liebe ich, die Musik des klassischen Qin. Das ist offenbar in meinen Genen tief verwurzelt, d. h. genetisch verankert. (Bekanntermaßen werden neunzig Prozent der menschlichen Gene nicht verwendet. Da ist die gesamte Menschheit untergebracht. Warum nicht auch uralte Vorfahren, irgendwelche Mongolen, keine Ahnung - oder doch?)»
Trüstedt ist also die Musik entschieden wichtiger als die Sprache. Und eigentlich verlangt der Klang seines Instruments Qin, bei dem elektronisch verstärkte Saiten mit einem Computerprogramm vernetzt sind, nicht nach Worten, sondern nach meditativem Schweigen.
Was bedeutet es für den Künstler/Musiker, wenn er unmittelbar nach der Aufführung sein Werk erklärt und diskutiert? «Über die Musik selbst kann man nach einer gelungenen Aufführung nicht sprechen», so Trüstedt. «Da kommt eher die bekannte <Aufführungsdepression>, vielleicht ein Weit-weg-Sein, wie das Zurückkommen von einer Fahrt in sehr entfernte Gefilde. Man/frau findet dann das eigene Land eher merkwürdig etc. Über technische Details kann man/frau sehr gut nach dem Konzert sprechen und diskutieren, ob es interessante Ereignisse gab oder lustige Fehler etc. Auch über Details der Komposition lässt sich reden, über Schwierigkeiten der Umsetzung - das ist wirklich alles vergleichbar mit einer weiten Reise. Man spricht über das Wetter etc. Tiefer gehende Dinge stehen ohnehin in den ankündigenden Texten zu den <Montagsgesprächen>. Das brauchen wir nicht zu wiederholen. Die Diskussion ist eher eine Lockerung, ein Gliederschütteln, ein Gedankenschütteln.»
Es geht an den Montagabenden nicht nur um die Kraft der Musik, auch die Macht der Bilder und Farben kann fokus-siert werden. Wie in Algonquin. Für den dazugehörigen Flash-Film Hommage an Rupprecht Geiger erhielten die Musiker Klänge «in den Farben des Films»: gelb, orange, hellrot, mittelrot, weinrot und ma-genta. «Die synästhetische Forschungsfrage war: Klingen die Farben in ihrem Zusammenspiel so wie die Stimmung des Films, oder wie sollten die Klänge kompositorisch und ästhetisch umgeformt werden, um zusammen mit dem Film ein ganzheitliches Kunstwerk zu bilden?», so die Mitwirkende Christine Söffing von der Synästhesie-werkstatt Ulm. Ergänzend Trüstedt: «Der Klang entfaltet sich als Musik. Wir hören den Klang als Keimzelle und ahnen seine Musik. Während sich die Musik ausbreitet, entstehen Assoziationen, latent oder deutlich. Ein zugeordnetes Bild, der Aufbau einer Handlungschoreografie kann die inneren Bilder bahnen oder im Zaum halten, eine Mitteilung bewerkstelligen oder die inneren künstlerischen Ideen bedingen ...» Das Thema der nächsten Serie der «Montagsgespräche» steht schon fest: «Musik aus dem Niemandsland». Dabei soll es um «Musik im vollen Kontext von Kunst und Wissenschaft» gehen, so Trüstedt. «Es werden 15 <Montagsgespräche> über das ganze Jahr 2010 verteilt. Das Thema: eigentlich eine uralte Sache, bis das Abendland die Mehrstimmigkeit und das wohltemperierte System erfunden hat. Niemandsland - das Land, das weder die jetzige Musik noch die jetzige Wissenschaft betritt. Es gibt zwar den einen oder anderen Ansatz (Ligetis Fraktale oder die Bonifikationen einiger Wissenschaftler), aber jede Sparte traut sich nicht voll in das unbekannte Gebiet; jede Sparte betont, dass sie weiterhin voll in der Musik stehe (im akademischen Sinn) bzw. streng wissenschaftlich arbeite. Wir werden beide Bezüge loslassen und das suchen, was zwischen den Disziplinen steht, um vielleicht eine neue, unbekannte Welt zu finden (z. B. hat die Biochemie das geschafft und eine vollkommen neue Disziplin entwickelt, die weder Biologie noch Chemie ist). Die Teilnehmer der <Montagsgespräche> werden vor allem Künstler sein (d. h. nicht Musiker, die nur auf ihrem Instrument zu Hause sind, und nicht Komponisten, die nur ihren Systemen trauen), und es werden Wissenschaftler sein, die den Mut haben, über ihre Systeme hinauszudenken - ohne Seil und Haken.»


INFO
Montagsgespräche 2009: «Musik und Materie»
• Rückmeldung. Hafenmayer - Trüstedt
• Einstein / Tagore. Köhler - Schäffer
• Autorenmusik, Guantes - Krüger - Trüstedt -Wolf
• Materialklänge. Volkmar Müller et al.
• Grafik-Bild Musik. Pabst - Söffing
• Text Musik Text. Ulrike Döpfer
• Planeten Audifikate. Krug - Olschewsky
• Turbulenzen. EMU Universität Ulm
• Zeit und Zeichnung. Roger Kausch
• Touching 1978/2008. Ulrike Trüstedt
Montagsgespräche 2010: «Musik aus dem Niemandsland»
• ab Januar 2010
Kontakt
• www.echtzeithalle.de