Autorenmusik
Elmar Guantes - Kontrabass, Dieter Trüstedt - Computermusik und Chin,
Hans Wolf - Klavier.
Es geht um den Begriff selbst, um das Musikmachen außerhalb des Prozesses Komposition-Interpretation. Wir werden diese Musikform vorstellen an Stücken, die ausschließlich aus der Gruppe heraus entstanden sind bzw. die sich vor Ort nach Absprache - aber ohne Vorlage - entfalten. Es geht hier nicht um Improvisation innerhalb eines bestimmten Stils, innerhalb einer bestimmten Melodik, Harmonik oder Rhythmik, sondern um Stücke, die aus übergeordneten Vorstellungswelten entstehen - vielleicht eine dritte Dimension der Musik (Edgar Varèse - Raum, Klang, Fläche, Bewegung, Architektur, Mathematik, Geometrie). Im folgenden Glossar werden einige Begriffe - relativ subjektiv - beschrieben.
Elmar Guantes und Hans Wolf
Dieter Trüstedt - Computerchin
Elmar Guantes und Dieter Trüstedt
Hans Wolf am E-Piano
Hans Wolf am Flügel
im Flügel
Dieter Trüstedt - links das Chin auf einem Stativ
Hans Wolf und Elmar Guantes
Publikum
Diskussion
GLOSSAR
absichtslos
John Cage - Um seinem Ideal einer absichtslosen Musik auch in anderen Kompositionen
möglichst nahe zu kommen, arbeitete Cage mehrfach mit dem Zufallsprinzip.
Er erreichte damit, dass die Auswahl der Töne nicht nur völlig unabhängig
von einem wertenden Aufbau, sondern auch darüber hinausgehend unabhängig
vom individuellen Geschmack des Komponisten, sowie von jeglichen psychologischen
und traditionellen Zusammenhängen stattfand. Cage verstand dabei den Zufall
nicht als etwas völlig beliebiges, sondern im eigentlichen Sinne des Wortes
als etwas, das einer Person zufällt. Auch für ein zufälliges
Ereignis gibt es immer eine Ursache, dessen Wurzel sich in einem grösseren
Zusammenhang befindet, auch wenn sie nicht offensichtlich ist.
absichtslos
Wort im Rating von Jörg Schäffer und Dieter Trüstedt zur Wahrnehmung
der Wirklichkeit (subjektiv - intuitiv und objektiv - diskursiv - als Koordinationsachsen
zur Fragestellung). Das Wort "absichtslos" liegt nahe der Worte "sensorisch,
ganzheitlich, assoziativ, chaotisch, innovativ, unabhängig, nicht-logisch,
experimentell, magisch, neugierig etc. Der Gegenpol enthält Worte wie reproduktiv,
dialektisch, genau, dizipliniert, künstlich, formal etc.
Vortrag u.a. Fra ordine e caos Rom und 2. Künstlersymposion Ulm.
Autor
hier Urheber eines Werks der Musik, Kunst, Fotografie, Filmkunst.
Autorenmusik
Urheber der gespielten Musik sein.
Dreieck
(geometrischer) Klang in der elektronischen Musik.
Evangelisti, Franco
1964 gründete er mit Ennio Morricone und anderen Komponisten das Improvisationsensemble
Gruppo di Improvvisazione Nuova Consonanza.
- Komponisten improvisieren als Kollektiv, in "Melos", XXXIII (1966),
pp. 86-88
- Grammophon-Schallplatte, 643541, u.a. mit E. Morricone, F. Evangelisti.
- Art Ensemble of Chicago
Free Jazz
ist einerseits ein historischer Begriff für (harmonisch) freies Improvisationsspiel
im Jazz seit den 1960er Jahren. Andererseits ist es ein bis heute ausstrahlendes
Paradigma, das die Möglichkeit zur freien Entfaltung immer neuer Formen
im Jazz und auch darüber hinaus (etwa in der Intuitiven Musik) bereithält.
Guantes, Elmar
geb. 1962 in Innsbruck. Kontrabass, Mitglied des Autorenensembles München.
Ausbildung: Konservatorium Innsbruck, Hochschule für Musik und Darstellende
Kunst Wien, Jazzakademie Graz, Institut für Elektroakustik und experimentelle
Musik Wien. Auslandsaufenthalte: Frankreich, England, Holland. Zusammenarbeit
mit Barré Phillips und Fred Frith. Projekte: Tourneen, Rundfunkproduktionen,
Konzertveranstaltungen, Mitwirkung in vielen Gruppierungen. Dozententätigkeit
in Freiburg, Hongkong und Kunstakademie Kanton, China.
Hoëné-Wronski, Josef
1778-1853, Philosoph und Mathematiker. In der Mathematik schlug er eine Reihenentwicklung
für Funktionen vor, deren Koeffizienten die heute so genannten Wronski-Determinanten
sind.
Helmholtz, Hermann von
(1821-1994) war ein deutscher Physiologe und Physiker. Als Universalgelehrter
war er einer der vielseitigsten Naturwissenschaftler seiner Zeit und wurde auch
Reichskanzler der Physik genannt.
- Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die
Theorie der Musik, 1863.
Imagination
(lat.: imago Bild) im weiten, umgangssprachlichen Sinne ist die
Fähigkeit, Konzepte, Ideen oder Bilder zu entwickeln oder zu erinnern,
die materiell nicht vorhanden sind (Vorstellungskraft). Albert Einstein hat
die Aussage geprägt: Die Imagination ist wichtiger als das Wissen.
Improvisation
ohne Vorbereitung, aus dem Stehgreif Darbebotenes, stilsicher und die Strukturvorgabe
einhaltend bzw. anhand kompositorischer Vorgaben improvisieren.
Kohärenz
(v. lat.: cohaerere = zusammenhängen) bezeichnet in der Physik eine Eigenschaft
von Wellen, die stationäre (zeitlich und räumlich unveränderliche)
Interferenzerscheinungen ermöglicht. Ein Sinuston über zwei räumlich
getrennte Lautsprecher wiedergegeben erzeugt stationäre Schallmaxima und
-minima im Raum.
Komponist
(lat. componere = zusammensetzen) ist eine Person, die musikalische
Werke (Kompositionen) erschafft. Das Ergebnis des Kompositionsvorganges liegt
abschließend meist in notierter Form (per Hand oder direkt als Notensatz
im Computer) vor; insbesondere in der Elektronischen Musik sind die Werke auch
in Form von Tonträgern üblich. Die Musik eines Komponisten wird (wenn
von der Elektronischen Musik abgesehen wird) durch Interpreten (Musiker, Sänger)
zum Erklingen gebracht.
min~
ein Objekt in Pure Data, das von zwei Schwingungsverläufen immer den kleineren
Wert weitergibt.
Musik, elektronische
mit elektronischen Mitteln (Computer) hergestellte Musik. Ausgangsmaterial sind
mathematische und physikalische Phänomene, Formeln, Modelle, Methoden (Sinus,
Frequenz, Amplitude, Rauschen, Filter, Summe, Produkt, Kohärenz, Logarithmus,
Reihe, Phase etc.).
Musik
son organisé (Edgar Varèse), Verkörperlichung von Geist im
Klang. Entsprechend der Aussage von Hoene-Wronski:"la corporification de
l'intelligence qui est dans les sons".
Niemansland
zwischen Kunst und Wissenschaft - unbekanntes, noch unerschlossenes, unbesiedeltes
Land. Uns interessiert die Musik dieses Niemanslandes. Vielleicht war dieses
Land mal besiedelt - bis vor ca. 500 Jahren - als Kunst und Wissenschaft - hier
besonders die Mathematik - noch eine wichtige Rolle in der Entwicklung der abendländischen
Musik spielte. Was ist inzwischen alles passiert? Wie sieht heute dieses Land
aus? Wie klingt es dort?
Partitur
übersichtliche, Takt für Takt in Notenschrift auf einzelnen übereinander
liegenden Liniensystemen angeordnete Zusammenstellung aller zu einer vielstimmigen
Komposition gehörenden Stimmen.
Poème Èlectronique
Edgar Varèse, 2 min 40 sec Elektronische Musik für den Weltausstellungspavillon
1958 (Auftrag 1956). Erstes Multimediales Kunstwerk. http://trumpet.sdsu.edu/M345/Varese.html
(für Realplayer)
Pulsar
ein schnell rotierender Neutronenstern. Die Symmetrieachse seines Magnetfeldes
weicht von der Rotationsachse ab, weshalb er Synchrotronstrahlung entlang der
Dipolachse aussendet. Liegt die Erde im Strahlungsfeld, empfängt man wie
von einem Leuchtturm regelmäßig wiederkehrende Signale. Die Rotationsdauer
eines Pulsars ohne Begleiter liegt zwischen 0,01 s und 8s.
(Aussage von Elmar Guantes: "Das klingt wie ein Pulsar.")
Quinte
der 5. Ton in der abendländischen Tonleiter. Gleichzeitig der 3. Teilton
eines harmonischen Klanges bzw. das Tonfrequenzverhältnis 3 zu 2. Wird
auch auf rhythmische Strukturen übertragen.
Schwebung
Eine Schwebung ist eine Schwingung mit periodisch veränderlicher Amplitude.
Sie entsteht durch Überlagerung von Schwingungen mit ähnlichen Frequenzen,
f1 muss ungefähr f2 sein. Die Schwebungsfrequenz ist (f1-f2) /2 der Überlagerung
- und der neue Ton hat die Frequenz (f1+f2) / 2.
Sinnlichkeit
das den Sinnen zugewandte Sein.
Sinus
Wellen wie Schallwellen, Wasserwellen, elektromagnetische Wellen lassen sich
aus Sinuswellen zusammengesetzt beschreiben, so dass die Funktionen in der Physik
allgegenwärtig sind. Das Sinnesorgan Ohr zerlegt den eintreffenden Schall
in seine Sinuskomponenten und führt damit eine Fourieranalyse durch: je
nachdem, wie viel einer solchen Komponente in dem Gesamtsignal vorhanden ist,
wird ein Ton entsprechender Lautstärke und Frequenz wahrgenommen.
Trüstedt, Dieter
geb. 1939 in Berlin. Mitglied des Autorenensembles München. Physiker und
Künstler: Elektronische Musik, eigene Musikinstrumente, Lichtkunstprojekte,
Computerkunst. Promotion in Kernphysik. Entwicklung von elektronischen Musikinstrumenten
und Konzert-Installationen. Eigene Kompositionen. Flash-Konzerte. Zusammenarbeit
mit Yoshi Oida und Auftritte weltweit. Lehrtätigkeit HdK Berlin, Universität
Ulm und Musikhochschule München. Aufbau der Echtzeithalle und des Musiklabors
München.
Varèse, Edgar
Französischer Komponist. Er studierte zunächst Mathematik und Naturwissenschaften,
was nicht ohne Auswirkung auf seine Musik geblieben ist. 1958 - das Projekt
das Poème électronique, das in Zusammenarbeit mit Le Corbusier
und dessen damaligem Assistenten Iannis Xenakis entsteht. Es handelt sich um
eine Komposition für mehrere Tonbänder, die im Pavillon der Weltausstellung
in Brüssel über ein System von 300 Lautsprechern erklingt.
- Grete Wehmeyer, Edgard Varèse, Gustav Bosse Verlag, Regensburg. Seite
30: "Ausbruch in den Raum".
Virtuosität
meisterhaft vollendete Beherrschung einer (künstlerischen) Technik.
Wolf, Hans
geb. 1958 in Braunschweig. Klavier. Mitglied des Autorenensembles München.
Klavierstudium incl. Meisterklasse an der Musikhochschule Freiburg i. Br. bei
Prof. Edith Picht-Axenfeld (1976-1981). Aufbaustudium an der Musikhochschule
München Neben traditionellem Klavierspiel gewannen in den letzten Jahren
zunehmend die Gebiete der Improvisation, Komposition und des Musiktheaters an
Bedeutung. Mitglied der Gruppe N.I.E. und vieler anderen Gruppierungen u.a.
der Echtzeithalle München. Siehe www.hanswolf.de
wrap~
ein Objekt in Pure Data, das nur die Nachkommastellen weitergibt.
Programm
EG = Elmar Guantes DT = Dieter Trüstedt HW = Hans Wolf
1. Phasenweite / Pulsar 30 min2. ZweiSekundenSchleife 10 min
DT und HW
3. WrapGesang 10 min
DT und EG
4. ABRISS 10 min
EG und DT und HW
Allen Stücken/Übungen liegt eine elektronische Musik (e.M.), ein
mathematisches Klangbild zugrunde, realisiert mit Pure Data - ein Computer-Programm
für e.M.. Hier ist die e.M. wie ursprünglich verstanden (Ende der
60er Jahre des letzten Jahrhunderts), d.h. keine Samples, sondern reine mathematisch-physikalische
Prozesse.
Für die beiden akustischen Instrumente besteht eine gewisse Herausforderung,
denn die e.M. ist relativ statisch - vielleicht sogar penetrant statisch - im
Klang und Zeitmaß. Dafür bietet die e.M. eine ausreichend seltsame
Klangstruktur, die zum Mitspielen, zum Angreifen, zum Gegenspielen herausfordert.
Die e.M. wird natürlich im Verlauf der einzelnen Übungen weiterentwickelt,
in verschiedene Klangebenen gekippt und variiert.
zu 1)
Der einfachste Tongenerator in der elektonischen Musik ist der Recheckgenerator.
Die Variation der An-Aus-Zeiten (Tastverhältnis) erzeugt Klangvariationen.
Das Tastverhältnis kann durch einen weiteren Generator gesteuert werden.
Tiefe Frequenzen erzeugen rhythmusähnliche Gebilde. Ein Resonanzfilter
kann hieraus ein Percussioninstrument formen. Die Schärfe des Filters erzeugt
u.a. Nähe und Ferne der Klänge.
Das Spiel mit diesen Möglichkeiten erzeugt mechanisch anmutende Klangbilder
oder Geräusche (Motoren von Schiffen oder Bussen) - und gleichzeitig ensprechende
Anmutungen, Warten auf die Abfahrt mit dem Bus etc.
Mit diesen Bildern werden die beiden anderen Spieler (Klavier und Kontrabass)
konfrontiert. Sie interpretieren diese Klangbilder anders - z.B. als rhythmische
Vorgaben. Elmar Guantes assoziierte die Frequenz eines Pulsars (rotierender
Neutronenstern) und Hans Wolf Rhythmusschläge, die er in mit seinem Spiel
kommentiert, sie einbaut oder angreift.
Wir werden dieses Stück viermal spielen - in verschiedenen Besetzung. Im
dritten Spiel bleibt die elektronische Musik weg. Anschließend spielen
wir zu dritt - die komplexeste Variante, wenn keine Partitur vorliegt
und auch andere Muster improvisierter Musik fehlen.
Wir diskutieren unser Spiel und spielen klassische Autorenmusik der 1960er Jahre
ein.
zu 2)
Hans Wolf, elektronisches Klavier und Dieter Trüstedt, Pure Data und Chin-Instrument
spielen gemeinsam mit einem Zwei-Sekunden-Echo der Klänge beider Instrumente.
Pure Data managt das Echo. Das Chin erzeugt unscharfe Klänge,
das E-Piano spielt aufgenommene Klavierklänge, erfindet aber auch Flächenklänge
(Cluster).
zu 3)
Im Vordergrund steht das Pure-Data-Programm WrapGesang - ein Sägezahn
erzeugt ansteigende Zahlenreihen mit Nachkommastellen. Das Wrap
löscht die Stelle vor dem Komma. Dadurch entstehen
Frequenzen, die ein ganzzahliges Vielfaches über der Grundfrequenz liegen.
Gleichzeitig werden die ansteigenden Zahlenwerte in eine Sinusform umgewandelt.
Das Kippen in den Frequenzsprüngen, wenn der Sägezahn die nächste
natürliche Zahl erreicht hat, erzeugt Percussionbilder.
Elmar Guantes musiziert vielfarbig zu diesem mathematischen Klanggebilden.
zu 4)
Wir spielen alle zusammen und halten uns an den Intensitätsverlauf - von
Hans Wolf skizziert.
Das Spiel auf dem Kontrabass und den Klavieren kann akustisch und optisch unmittelbar
verfolgt werden.
Unten ist das Pure-Data-Programm für die Autorenmusik Abriss
wiedergegeben. Gespielt wird mit 6 Rauschgeneratoren, die in der Teiltonfolge
4-5-6-7-9 gestimmt sind - das ist ein Nonenakkord (der letzte Ton liegt
9 Töne über dem Grundton - hier aber als reine Stimmung programmiert.
Es gibt Voreinstellungen (Presets), die einzelne Teiltöne hervorheben bzw.
schwächen. Der Nonenakkord kann als ganzes mit den Laptoptasten in beliebigen
Tonhöhen versetzt werden. Siehe Abbildung - inclusive möglicher Tonreihen
der Laptoptastatur - u.a. Vierteltonreihen. Die orgelähnlichen Klänge
könnenmit Attacks und Decays zu gespielt werden.
Das gemeinsame Spiel - Kontrabass, Flügel und Laptop - wurde vorher nicht
geübt oder einstudiert.
Pure Data Programm / Miller Puckette / Musikdepartment/ San Diego / Internet: http://crca.ucsd.edu/~msp/software.html
Konkretes Programm oben
Dieter Trüstedt / März 2009 / Rauschgeneratoren, Laptop-Keyboard,
Reverb, Recorder, Presets, Zeitspur.