EMU 2008

Projekte der
EMU Experimentelle Musik und Kunst

Universität Ulm


Artikel über die EMU - besonders über das Wasser-Projekt im Stadthaus Ulm:

NEUE ZEITSCHRIFT FÜR MUSIK / DAS MAGAZIN FÜR NEUE TÖNE

Nr. 1 / Januar-Februar 2008

Michael Rebhahn: Recherchen im Feinbereich
Experimentelle Musik an Main und Donau
Seite30

EMU
Als ein wesentliches Merkmal des Experimentellen beschreibt die Musikwissenschaftlerin Marion Saxer die «Strategie der Kontextverschiebung»: Gemeint ist die Überführung von Phänomenen, denen an sich nichts «Künstlerisches» anhaftet, in den ästhetischen Raum. Genau das geschieht in Ulm – an der Medizinisch-Naturwissenschaftlichen Hochschule. In vier funktionalen Holzbauten auf dem Campus, zwischen Mensa und Klinikum, hat das Musische Zentrum seinen Sitz. Neben Angeboten in Theater, Tanz, kreativem Schreiben und den üblichen Collegia musica findet sich hier auch eine in dieser Umgebung eher ungeläufige Institution: EMU –Experimentelle Musik Universität Ulm – heißt die Einrichtung, die der Münchner Physiker und Künstler Dieter Trüstedt 1986 initiierte und die sich seither der Erkundung der Kontexte von Musik und Naturwissenschaften widmet. Ein Zentrum für experimentelle Musik an einer medizinisch-naturwissenschaftlichen Hochschule? Der Skepsis, die diese Frage grundiert, könnte Trüstedt mit einem lakonischen «Wo sonst?» entgegnen. Wo sonst sollte eine Musik entstehen, die den Begriff des Experiments derart wörtlich nehmen kann? Studenten und Dozenten der Universität Ulm sowie Künstler verschiedener Genres arbeiten hier an einer Zusammenführung von wissenschaftlicher und künstlerischer Praxis; kreative Prozesse beider Disziplinen sollen erkannt und wechselseitig nutzbar gemacht werden. In dieser Absicht finden sich Konzepte umgesetzt, die «Kunst-Wissenschaft» in ganz handfestem Sinne betreiben: Nicht die künstlerische Reaktion auf Erfahrungswerte der Wissenschaft oder die losgelöste Nutzung ihrer Forschungsresultate steht hier im Vordergrund, das Ziel ist vielmehr die Erarbeitung von Ansätzen, die eine gleichberechtigte Verbindung der Darstellungsformen beider Sparten in Angriff nehmen.
Wasser – kann man Wolken hören?, so war ein im Jahr 2005 realisiertes Projekt überschrieben, das die EMU in Kooperation mit dem Institut für Organische Chemie und der Jungen Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durchführte. Die Zielsetzung war,
verschiedene Bewegungseigenschaften von Wasser in Klänge zu überführen. «Orbitalenergien des Wasser-Monomers», «Rotations- und Bindungsschwingungsfrequenzen von Wasser» oder «Dynamiken von Wasserclustern» lauten die wortreichen Fachtermini für die molekularen Zustände, die im Musiklabor der EMU «vertont» wurden, indem Dieter Trüstedt und seine Mitarbeiter aus den von den Chemikern ermittelten numerischen Messdaten mittels Audiosoftware elektroakustische Informationen generierten. Als «Audifikation», als Hörbarmachung, wird in der EMU dieses Prozedere bezeichnet. Um die Herstellung einer Synästhesie, die darauf abzielte, eine Vorstellung davon zu geben, wie Wassermoleküle klingen oder wie sich Prozesse des Erhitzens oder Gefrierens anhören, geht es bei diesem Verfahren allerdings weniger; die Audifikation sei, so Trüstedt, eine «Methode der künstlerischen Erkenntnis». Im Falle der Wassermusiken entstand eine Darstellungsform, die einen erweiterten Blick auf die untersuchten Phänomene ermöglichte: Indem die Resultate akustisch, also in einer für die Naturwissenschaft unüblichen Form dargestellt werden, kann der Sinn sowohl für den Untersuchungsgegenstand als auch für die ermittelten Daten geschärft werden; strukturelle Charakteristika etwa sind mit dem Gehör schneller und unmittelbarer zu erfassen als durch die Auswertung kolossaler Zahlenreihen. Die Eigenqualität, die den Klängen jenseits ihrer wissenschaftlichen Aussagekraft eignet, kann dagegen vorbehaltlos der ästhetischen Wahrnehmung zur Disposition gestellt werden – ganz gleich, ob man hier nun rotierende Wassermoleküle oder schlicht Musik hören möchte.
Als prägendstes Merkmal der Aktivitäten im Musiklabor der EMU ist die buchstäbliche Neugier auszumachen, mit der die Ausformulierung der experimentellen Settings umgesetzt wird. Am Anfang steht eine Idee, eine Vermutung, die zur Bündelung kreativer Energien leitet und das konkrete Erforschen der zunächst noch vage umrissenen Vorstellung in Gang setzt. Das (künstlerische) Experiment wird hier unter der Prämisse einer prinzipiellen Zukunftsoffenheit betrieben, die das Gelingen ebenso wie das Scheitern eines Versuchs als gleichwertige Resultate anerkennt. Wie bei SKOP geht es auch hier um die Sondierung von Möglichkeiten, um ein zunächst noch nicht näher bestimmtes Sich-Hineinbegeben ins Material. Die ästhetische Absicht der Audifikation sieht Trüstedt sowohl in der Hinterfragung als auch in einer potenziellen Bereicherung des Wahrnehmungsverhaltens begründet: «Die Ästhetik der Gestaltung und Wahrnehmung bekommt neue Aufgaben – auch wenn es zunächst nur darum geht, Fremdes, das gegeben ist, interessant und vielleicht schön zu finden.»
Dass Audifikationen nicht bloß in Form abgeschlossener, fixierter Exponate erfahrbar sind, sondern auch eine Gestaltung im Live-Kontext zulassen, zeigte die EMU in der gleichfalls im Rahmen des Wasser-Projekts entwickelten Arbeit ZIRRUS. Am Anfang standen auch hier nüchterne Zahlen, wobei eine gewisse «poetische» Konnotation des Gegenstands nicht von der Hand zu weisen ist: Es geht um Zirruswolken – um ephemere Gebilde aus Eiskristallen. Als Grundlage dienten Daten einer meteorologischen Studie der NASA: insgesamt 840 Datensätze, die ein Forschungsflugzeug während eines 14-minütigen Fluges durch eine Zirruswolke ermittelte. Für diesen Zeitraum ermittelten die Forscher die Entwicklung von sieben Parametern: Eismenge, Temperatur, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, Wasser-Mischungsverhältnis, Ortskoordinaten und Eisteilchenzahl. Im Labor der EMU wurden diese Daten audifiziert und, den jeweiligen Parametern entsprechend, auf sieben Spuren verteilt. Auf diese Weise entstanden Einzelstimmen, die von einem Laptop-Ensemble interpretatorisch umgesetzt werden können, womit ZIRRUS ein kreatives Spiel, ein regelrechtes Musizieren mit dem gewonnenen Klangmaterial zulässt. Ob der Hörer dabei erfährt, wie eine Wolke klingt, bleibt ganz seiner Fantasie überlassen –wichtiger ist, ihm die Ohren zu öffnen für das, was Alvin Lucier als «Poesie der Naturwissenschaft» beschreibt, eine Poesie, die ihre Qualität gerade aus der Fremdheit, aus dem «Geheimnis» ihrer Materialien bezieht.
Marcel Duchamp kokettierte einmal damit, er wolle in seine Kunst «die exakte und präzise Seite der Wissenschaft hineinnehmen, um die Wissenschaft in Verruf zu bringen, auf eine sanfte, leichte und unwichtige Weise». Die Ulmer Experimentatoren beabsichtigen gewiss nicht, die Wissenschaft in ein schlechtes Licht zu rücken; das Sanfte und Leichte hingegen ist ein signifikantes Merkmal ihrer Näherungen an die Leihgaben aus Chemie und Physik. In diesem Sinn wird im Musiklabor der EMU weitergeforscht. «Turbulenzen» heißt das aktuelle Projekt. Ob sie vertont ebenso beunruhigen, bleibt abzuwarten.

Text neben Karlheinz Stockhausen - unter der Zahl 30:
SKOP und EMU heißen die beiden Initiativen, die stellvertretend für eine ganze Reihe ähnlicher, aber auch deutlich differierender Ansätze stehen, die sich in kleinen Zirkeln und größeren Interessensgemeinschaften mit der Entstehung und Erforschung von Klang auseinander setzen und dabei die herkömmlichen Grenzen musikalischer Komposition sprengen. Michael Rebhahn porträtiert die beiden Initiativen für uns.

Und auf dem Bild: Volkmar Müller und Randolf Pirkmayer. Letztere war schon öfter bei der EMU - z.B. bei den KreuzKlängen im Ulmer Münster.
Das Bild entstand in der Kunstakademie München, bei der Materialausgabe 2007 siehe:
http://www.luise37.de/2007/materialausgabe/dokumentation.htm
In dieser Materialausgabe spielte Dieter Trüstedt auch die Eight Patterns or Eight Instruments von Tom Johnson - hier auf dem Computer - achtkanalig - mit Sonja Hafenmayer, Bewegung.

Und hier ein Foto aus der Reaktorhalle München, Musiklabor Herbst 2006
mit Isolde Werner, Stimme und Dieter Trüstedt, Computer-Chin.
Die Zeichen-Aktionen mit Schwamm auf einer Tafel sind von Andreas Kloker.
Siehe: http://www.luise37.de/2006/herbst2006/protokoll/protokoll.htm

Deckblatt der Zeitschrift


Musische Tage 2008
Dokumentation

http://www.uni-ulm.de/einrichtungen/muz/musische-tage-2008.html