233. Montagsgespräch
Musik als Prozess
Ein Update zum Musik-Machen und Musik-Wahrnehmen
Hans Wolf und Dieter Trüstedt
Es geht um unsere Musik. Sie ist nicht auskomponiert,
nicht interpretierbar, ist keine freie Improvisation, sondern ist in der (konzertanten)
Auseinandersetzung entstanden: ein klassisches Instrument auf der einen Seite
(Hans Wolf spielt Klavier) und ein sehr modernes Instrument (Dieter Trüstedt
spielt Computermusik auf dem Laptop). Es kann sein - als Beispiel - dass Hans
Wolf die Klavierklänge für die Computermusik auf dem Flügel gespielt
hat oder dass die Tonskalen von Dieter Trüstedt sehr genau vorgegeben werden.
Das verweist auf eine starke Durchdringung der künstlerischen Konzepte,
Materialien und Techniken. Nicht interpretierbar bedeutet, dass diese Musik
von keinem anderen Ensemble gespielt werden kann, so wie ein Bild eines Künstlers
nicht von einem anderen Künstler gemalt werden kann - warum auch.
Was lange Zeit ein großes Problem der elektronischen
Musik war - die teuren, schweren und ständig veraltenden Geräte -
existiert nicht mehr. Das Material - ausser guter Lautsprecher - ist kostenlos
und vor allem ist es jeder Zeit so aktuell wie meine Ideen: das Computerprogramm
(in meinem Fall Pure Data von Miller Puckette, Universität San Diego) ist
so verfügbar wie die eigene Sprache, die Worte, die Laute, die Sätze.
Und nachdem die Welt voller interessanter Klänge ist, werden wir wohl zu
keiner Zeit Mangel leiden.
Hans Wolf hat es etwas schwieriger, weil er einen Flügel
braucht, der gestimmt sein muss, gut klingen soll und vor allem vorhanden sein
muss. Sein Spiel ist seltsam frei. Er versteht es, sofort zu reagieren und seine
Antworten in der Sprache der Musik zu artikulieren. Ich weiss nicht, ob es seine
hohe Schulung ist oder seine Aufmerksamkeit oder seine spontane Freude - vielleicht
das Letztere am stärksten. Wie er mit der abendländischen Musiktradition
umgeht, ist mir ein Rätsel, ein außerordentlich anregendes Rätsel.
Wir werden drei Musikstücke besprechen:
- das Chaosklavier, Uraufführung 21. März 2005 Carl Orff
Auditorium, mit der Gegenüberstellung temperierter Tonwerte gegen vollkommen
freie Werte, das heißt Werte, die niemals mit den Klaviertönen übereinstimmen,
- der Provenzalische Esel, Uraufführung 4. Mai 2006 im Pfingstsymposion
München, mit den sonderlichen Klanggebilden des I-As eines Esels aus dem
Ardèche-Gebiet, nach Überlegungen von Xenakis in kleinste Klangeinheiten
zerlegt und wieder zusammengefügt, und
- Ensifera, Uraufführung 28. September 2006 Musiklabor München,
ein Stück, das die skurilen Klänge von Zikaden und Grillen nutzt,
wenn sie einige Oktaven tiefer gesetzt sind.
Hier kommt noch ein künstlerischer Gedanke ins
Spiel: zumindest von der Computermusik-Seite her, entsteht der Wunsch nach einem
(körperlichen) Botschafter bzw. einer Botschafterin, zum Beispiel der Tanz
zu Ensifera von Sonja Hafenmayer. Wir werden ein Video zeigen.
Das Montagsgespräch behandelt Gedanken und Fragen
zum Musik-Machen und -Wahrnehmen.
Dieter Trüstedt, 21. November 2006
Ich glaube, daß die Freiheit künstlerischer Arbeit vor allem
in der Setzung des Einzelereignisses sich äußert. In der Malerei
ist das augenfälliger. Es ist für uns offensichtlich ablesbar, mit
welcher Freiheit der Hand, des Armes, des Körpers und der Vorstellung ein
Zeichen gesetzt ist. Die sichtbare Spur der Zeichensetzung ist oft identisch
mit dem Zeichen selbst, sie ist das Zeichen.
In Wolfgang Rihm, Offene Enden, 1983/1996, Seite 64.
Niemand kann von mir verlangen, daß ich Zusammenhänge herstelle,
solange sie vermeidbar sind.
In Schlechte Wörter, 1976.
Ilse Aichinger, Schriftstellerin, geb. 1921. 1950/51 Assistentin bei Inge Aicher-Scholl
an der Hochschule für Gestaltung, HfG, Ulm.
Hans Wolf, siehe: www.hanswolf.de
Dieter Trüstedt, siehe: www.luise37.de
Montag 27. November 2006 20 Uhr
Eintritt frei oder Spende
Carl Orff Auditorium München, Luisenstraße 37a (Ecke Gabelsbergerstr.)
U-Bahn U2 Königsplatz
Musiklabor
Veranstalter: Echtzeithalle e.V. in Zusammenarbeit mit der
Hochschule für Musik und Theater München
Tel. 089 / 289 27 477 oder / 272 1856
www.echtzeithalle.de
Arbeitsblatt auf dem Laptop:
CHAOSKLAVIER
PFINGSTESEL
Provenzalischer Esel
Pfingstsymposion 2006
Dieter Trüstedt, Computermusik
Hans Wolf, Klavier
ENSIFERA
Uraufführung
29. Sept. 2006
Carl Orff Auditorium
"Musiklabor Herbst 2006"
Dieter Trüstedt, Computermusik
Hans Wolf, Klavier
Sonja Hafenmayer, Tanz
MOZART-AUTOMAT
Ingolstadt / Stadttheater / Galerie
Mozartnacht
Samstag 25. Nov. 2006
4 Aufführungen